Blick in die Zukunft:
Es ist uns gelungen, Kontakt zu einem Zeitreisenden aufzunehmen, der uns einen deprimierenden Einblick in die Zukunft der Werserenaturierung gegeben hat. lesen sie seinen Bericht:
Man schrieb das Jahr 2028. Es waren lange und anstrengende Auseinandersetzungen gewesen. Die Befürworter der kleinen Lösung unter Erhaltung des Beton-Wehrs hatten endlich aufgegeben. Sie waren am Aufwand für immer neue Gutachten und den Prozesskosten im Rahmen der Planfeststellung und der verwaltungsgerichtlichen Auseinandersetzungen gescheitert. In der Politik hatte sich das Durchhalten mal wieder als wichtiger erwiesen als das Argumentieren. Jetzt war es so weit. Nach 300 Jahren konnte die Werse endlich in ein ansprechendes naturnahes Bett gelegt werden, endlich nach so langem Einstau. Ja, das würde nur mit großem Bauaufwand gehen und Jahre dauern. Und danach musste man auch noch Geduld haben, bis sich wieder der Bewuchs eingestellt hatte und sich Fische in großer Zahl und Vielfalt im Mäander tummelten. Die Förderung des Landes war zugesagt, allerdings nur zu Vierfünfteln der geplanten Kosten. Mehrkosten bei der Ausführung würden zu Lasten der Stadt gehen. Aber die Planer hatten alles im Griff. Als man das Jahr 2034 schrieb waren die Bauarbeiten fast abgeschlossen. Es war doch aufwändiger und komplizierter geworden und hatte zu Verzögerungen und leider auch fast zu einer Verdopplung der ursprünglichen geplanten Kosten geführt. Auf 80 Jahre verteilt würden die Drensteinfurter die laufenden Belastungen aber kaum merken. Man steckt halt nicht drin. Und der Vergleich zwischen Theologen und Geologen machte die Runde: Was hatten die Beiden gemeinsam? Die Einen waren noch nicht oben gewesen - die Anderen noch nicht unten. So hatten die Bodenverhältnisse, im Schlamm eingelagerte Umweltgifte, Dichtigkeitsprobleme bei den Spundwandanschlüssen, Eigentumsbeschaffungen, weitere Fachgutachten und diverse Imponderabilien doch gehörig zu Buche geschlagen. Aber jetzt war es bald so weit, dann würde das Gelände nicht mehr wie eine Mondlandschaft aussehen, die Wege wieder hergestellt sein und die Solitärgewächse erkennen lassen, wie idyllisch sich die Werse in wenigen Jahren in der Innenstadt präsentieren würde. Eine wirkliche Bereicherung für den Ort und auch der Werse-Radweg müsste an den Mäanderschleifen vorbei geführt werden, damit alle die Verbesserungen sehen und endlich die Naturverbundenheit der Stadtväter begreifen würden. Anfang des Jahres 2036 schien sich alles wie geplant zu entwickeln. Bauschäden waren beseitigt und negative Folgen der Absenkung des Wasserspiegels bisher nicht erkennbar. Der naturnahe Ausbau fing an, sich in die gewachsene Umgebung einzupassen. Auch das Schloss stand fest auf seinen hölzernen Podesten. Dafür sorgte die geschickte Planung, den Hauptstrom der Werse und den Erlebach weiterhin durch die Gräfte zu leiten, damit der seit 1712 angelegte Wasserspiegel gehalten wurde. Das nicht für die Standsicherheit des Schlosses und aller später errichteten Gebäude in der Innenstadt benötigte Wasser wurde an einer neuen kleinen Staumauer -nicht vergleichbar mit dem abgerissenen großen Wehr aus den 1970er Jahren - als Überlauf in den bis zu 3,80 m abgesenkten Mäander abgezweigt. Das sollte reichen, hatten die Planer ermittelt. Aber dann tat der Klimawandel das, was Pessimisten schon lange hatten gewusst haben wollen: Er brachte Extremereignisse, die man vor 12 Jahren auf keinen Fall hatte vorhersehen können. Der Sommer 2036 gehörte zu den trockensten im Münsterland seit Beginn der Wetteraufzeichnung. Von März an hielt die Dürre bis in den Oktober. Selbst die für den Schlosserhalt nötigen täglich 8.000 Kubikmeter Wasser kamen aus der Werse nicht mehr zusammen; der Erlebach war schon vorher häufiger ausgetrocknet und fiel auch jetzt aus. Als erstes hatte das Wasser für den Abzweig des Mäanders gefehlt. Dank der beidseitigen Spundwände kam auch von den Seiten kein Schichtenwasser mehr in das Bächlein. Es vertrocknete und mit ihm alles, was dort als blühendes Leben vorgesehen gewesen war. Die Krautschicht sah aus wie Heu, das man vergessen hatte zu mähen. Die Bäume hatten viel zu früh ihr Laub verloren. Fische, Amphibien und geflügelte Bewohner, die hatten fliehen können, waren verschwunden, die anderen gaben das traurige Bild von unbestatteten Mumien ab. Aber es sollte noch schlimmer kommen. Es kam der winterliche Starkregen. Viel stärker als im Dezember 2023, als das alte Wehr die Wassermassen noch beherrscht hatte, goss es unablässig aus alle Himmelsschleusen. Zuerst hatten die für den Mäander ausgehobenen 300.000 Kubikmeter für wenige Stunden geholfen, die Wassermassen aus dem Oberlauf aufzufangen. Aber der tägliche Zufluss lag bei gemessenen zwei Millionen Kubikmetern, noch 500.000 Kubikmeter mehr als 2023. Der Hochwasserschutz hatte bei der Verschönerungsplanung für die Werse auch nicht die vorrangige Rolle gespielt. Es sollte aber sicher gestellt werden, dass Hochwasser so gut wie durch das vorherige Wehr beherrscht wurde. Das war nicht genug. Mit dem abgestorbenen Bewuchs hatten die Wassermassen leichtes Spiel. Dann begradigten sie die Böschungen. Das Wasser suchte sich den kürzesten und schnellsten Weg, Kurven waren nur im Weg. Das hatten sie nicht gewollt und nach ihrer festen Überzeugung auch nicht vorhersehen können, die ehemals selbstbewussten Verantwortlichen in Stadt und Verband. Was hätten sie damals anders machen sollen? Die Gesetzeslage war doch eindeutig gewesen. Sie hatten so handeln müssen. Gegen höhere Gewalt konnte man nichts machen. Die Bewohner der betroffenen Gebiete würden hoffentlich gegen Elementarschäden versichert sein. Das wunderschöne gedachte Gewässer aber sah zum Weinen aus und würde - falls überhaupt - viele Jahre der Erholung brauchen. Geld würde man dafür keines mehr ausgeben können. Dürre und Hochwasser würden sich nach allen Vorhersagen jetzt häufig abwechseln. Einer der Urheber erlebte die Auswirkungen der Unwetter hautnah im Mal teser-Heim. Er hatte in den 2010er und 2020er Jahren mit Inbrunst daran gearbeitet, die Renaturierung in der Innenstadt zum Wohl der Drensteinfurter durchzubringen. Jetzt hatte er ein Buch aus 1968 in Händen. Es war die
Deutschstunde von Siegfried Lentz. Ihm kamen erstmals leichte Zweifel, ob die „Freuden der Pflicht“ wirklich jede persönliche Verantwortung hatten begraben dürfen.
Wir danken dem Zeitreisenden für den Bericht über seine Wahrnehmungen in der Zukunft und würden uns freuen bei einem der nächsten Besuche in unserer Zeit weiteres zu erfahren . :-)